Die Widersprüche zeigen

Wie der Film »Vom Flachlegen und Aufstehen« entstanden ist
von Mischka Popp und Thomas Bergmann
Am Sonntag, 03.11.2024, laufen zwei „Bauernfilme“ aus den 80er Jahren in der Werkschau. Ihre Themen treiben die Landwirte auch in diesem Jahrtausend wieder auf die Straße. Der folgende Text beschreibt unter anderem das Unverständnis zwischen Stadt und Land.

Wir sind seit Jahren mit einer ganzen Reihe von Leuten rund ums »Bauernblatt« (1) im Gespräch, und die haben uns immer wieder gesagt: »Schaut Euch mal die Flurbereinigung an. Das ist ein wichtiges Thema. Da passieren unglaubliche Sachen.« Und obwohl wir uns seit längerem mit Agrarthemen beschäftigen, müssen wir sagen; das wahre Ausmaß der durch Flurbereinigung entstehenden Probleme war uns nahezu unbekannt. Wir wussten einfach zu wenig darüber. Natürlich hatten wir eine grobe Vorstellung davon, was Flurbereinigung bedeutet, was im Namen der Flurbereinigung z.B. im Norden der Bundesrepublik gelaufen ist — Stichwort: Monokultur, Agrarsteppe, Konzentration von immer mehr Land in immer weniger Händen. Aber welcher wirtschaftliche und ökologische Kahlschlag hinter dem harmlosen Namen »Flurbereinigung« steckt, das haben wir nicht gewusst. Vor allem nichts über das unglaubliche Ausgeliefertsein der Betroffenen gegenüber der staatlichen Behörde, die nahezu rechtlose Situation des einzelnen, über dessen Kopf hinwegentschieden und angeordnet wird.

Als wir das unseren Freunden in der Stadt erzählt haben, haben die immer ungläubig mit dem Kopf geschüttelt. Wir haben manchmal versucht, das mit folgender Geschichte zu »übersetzen«:

Stellt Euch vor, Ihr habt ein Haus, in dem Ihr wohnt und arbeitet, in einem kleinen Laden im Erdgeschoß zum Beispiel. Und da kommt der Staat und sagt: »Euren Laden machen wir erstmal dicht, denn jetzt wird umgebaut! Ein Stück von der Fassade lassen wir stehen, im Haus innen reißen wir alles raus und bauen das total neu auf, alles schnieke und ganz modern. Die Balkone und Erker hauen wir ab, oben packen wir noch’n paar Stockwerke drauf. Während der Bauarbeiten können Sie ja solange im Keller wohnen. Rückt ein bisschen zusammen, Leute, und geht uns aus der Sonne: morgen kommt der Bagger!« Und der Hausbesitzer traut seinen Ohren nicht und sagt: »Erstens habe ich Sie nicht gerufen und zweitens brauche ich Sie nicht. Sie haben sich umsonst bemüht.« Sagt der Mensch vom Staat: »Was heißt umsonst, guter Mann, das kostet Sie natürlich „ne Stange! Der Staat ist ja kein Krösus — ein bisschen was dazu tun müssen Sie schon. Aber ich kann Sie beruhigen, mehr als 300.000 über’n Daumen werden es nicht sein.« Der Hausbesitzer wähnt sich im Tollhaus und ruft nach Gesetz und Recht. Darauf der Staatsmensch: »Entschuldigen Sie, welches Gesetz? Sie verkennen die Situation. Wir sind das Gesetz! Haben Sie nicht unser Rundschreiben gekriegt? Steht ja alles drin, ist alles abgesichert, rechtlich und so weiter.« Und unser Hausbesitzer steht wie gelähmt, widersprüchliche Gefühle steigen in ihm hoch, von denen einige — erschrocken bemerkt er das — geradezu staatsgefährdende Neigung haben. Die Worte Eigentum und Privatbesitz bilden sich wie große Blasen in seinem Kopf. Kurz vor dem Platzen wankt er in die Küche, schaut auf den Kalender. »März 1986« steht da. Und der Hausbesitzer fragt sich, ob er dem Kalender trauen kann.

So ähnlich, haben wir gesagt, müsst Ihr Euch das vorstellen. Nur schlimmer. Ihr macht Witze, sagen unsere Freunde, Ihr wollt uns verkohlen. Flurbereinigung soll ja im Interesse der Bauern und der Bevölkerung auf dem Land durchgeführt werden. So wird es propagiert. Auf der anderen Seite wachsen Kritik und Widerstand gegen die Maßnahmen der Behörde. Dieser Widerspruch war für uns der Ansatzpunkt für die Filmarbeit. Warum wehren sich Leute gegen etwas, was doch angeblich in ihrem Sinne sein soll? Wir sind nach Bayern gegangen, weil wir dort von der Interessenvereinigung bayerischer Bauern gegen die Flurbereinigung gehört haben. Und wir haben in Bayern etwas erlebt, was wir so bisher noch nicht erfahren haben: brechend volle Versammlungen in Wirtshäusern und Gemeindesälen, Bauern, die ihre Enttäuschung und ihre Wut über bestimmte Maßnahmen der Flurbereinigungsbehörden so offensiv zum Ausdruck brachten, dass die Wände wackelten. Eine kräftige Sprache, den Mund aufmachen, wenn einem etwas nicht passt — das hat in Bayern sicher eine bestimmte Tradition. Aber wir denken, wir haben uns nicht von den hochschwappenden Gefühlen oberflächlich faszinieren lassen, sondern sehr schnell begriffen, dass die Substanz der Empörung eine andere ist als jene, die sich in den üblichen Stammtischrunden Luft macht. Für viele Bauern wird die Flurbereinigung zur Existenzfrage, es geht ums Ganze, und da macht man nicht bloß starke Sprüche. Wir haben versucht, diese Direktheit, diesen »Biß« im Film zu bewahren. Also haben wir sehr unterschiedliche Beispiele der Folgen von Flurbereinigungsmaßnahmen dokumentiert, die Auswirkungen für den bäuerlichen Familienbetrieb genauso wie die ökologischen Folgen durch große Baumaßnahmen wie z.B. den Rhein-Main-Donau-Kanal, Ein besonderer Schwerpunkt des Films liegt bei den Weinbergs-Flurbereinigungen in Franken. Wer das gesehen hat, der weiß, dass nicht nur der Glaube Berge versetzt. Wir denken, dass der Film eine gewisse Ruhe und auch Kraft ausstrahlt, die ganz von den Menschen kommt, von denen er handelt. Zumindest haben wir uns darum bemüht. Immer wieder kamen Bauern auf uns zu, die sagten: »Gut, das nehmt Ihr jetzt auf, aber gesendet wird das nicht, oder?« Das heißt, es gibt eine ganz bestimmte Vorerfahrung von Bauern mit den Medien, und die ist offensichtlich nicht immer positiv gewesen.

Unser Film »Drei Bauern unter einem Hut« (2) war für manche Gespräche eine Art Eintrittskarte für uns. Viele Bauern haben sich daran erinnert, und das hat unsere Arbeit ein Stück weit erleichtert und mögliche Hürden beiseite geräumt.

Natürlich müssen wir in einem Film komprimieren und auswählen. Wir haben manche wichtige Aussage in Abwägung gegen andere, die uns noch wichtiger erschienen, vernachlässigen müssen. Gleichwohl denken wir, dass sich in den Erfahrungen einzelner eine Vielzahl wiederfinden kann. Wir machen ja keine Filme über exotische Wesen, obwohl für viele unserer städtischen Freunde und auch für manche Leute in den Rundfunkanstalten Nachrichten vom Land wie Nachrichten von einem fremden Stern wirken. Es ist das falsche Bild vom Bauern und vom Land allgemein, das es gilt zu ändern. Und da denken wir, dass ein Film wie der über die Flurbereinigung ein wenig dazu beitragen kann. Denn dass Flurbereinigung nicht nur Bauernsache ist, sondern sehr eng mit der Frage verknüpft ist, wie wir leben und produzieren, wie wir die Umwelt erhalten und verbessern können — das müsste auch Leuten, die nicht auf dem Land leben, klar werden. Die fränkischen Winzer von der Volkacher Mainschleife formulieren das in unserem Film sehr deutlich. Es mag sein, und es gibt auch schon Beispiele dafür, dass in den Flurbereinigungsbehörden ein Umdenken begonnen hat. Auch im Film sagt das der oberste bayerische Flurbereiniger. Aber er sagt dies auf einer Bauernversammlung, bei der — angesichts offensichtlich ganz anderer Erfahrungen dieser Bauern — seine Argumente im Toben des Saales geradezu untergehen.

Dass die Flurbereinigung als ein Kernstück einer fehlgesteuerten Agrarpolitik immer noch das Geschäft des Bauernlegens betreibt, das mag der eine oder andere kritische Beamte der Flurbereinigung weit von sich weisen. Unterm Strich läuft es u.E. nach wie vor darauf hinaus. Deshalb scheint es uns auch gar nicht so sehr die Frage zu sein, wie man »mehr« Ökologie in die Planung bringt, sondern dass man darüber nachdenkt, wie man die Teilung des Landes — hier Agrarsteppe, da Disneyland für die Städter — aufheben kann.

Eine wichtige und ermutigende »Nachricht vom Land« im Film scheint uns das Zusammengehen von Bauern und Naturschützern zu sein, Leute, die vordem eher Gegner als Partner waren. Es hat sich sowohl beim Naturschutz etwas geändert — Hubert Weiger sagt das im Film — als auch bei den Bauern. Und es ist beeindruckend, wie Josef Ermer, ein alter Bauer und Flurbereinigungsgegner, den die Behörde schon in den 50er Jahren mit schlimmster Polizeigewalt hat schikanieren lassen, heute zur Zusammenarbeit mit den Naturschützern aufruft. Wir haben den Film »Vom Flachlegen und Aufstehen« genannt. Und im Untertitel »Ein Heimatfilm«. Wir denken, dass der Begriff Heimat, jenseits der neuerdings Mode gewordenen Diskussion darüber, ganz gut das trifft, was die Menschen in unserem Film für sich reklamieren: Einen Ort, wo sie leben und arbeiten und miteinander zu tun haben können, und zwar auf dem Land, und zwar als Bauern.

(aus: W&M, Medienpaket Ökologie, 1987)


(1) Das »Bauernblatt« wurde Mitte der 70er Jahre von Bauern als unabhängige Zeitschrift gegründet. Es war damals für zahlreiche landwirtschaftliche Arbeitskreise, für oppositionelle Gruppen, für alle, die neue Wege und Veränderungen im Agrarbereich suchten, ein zentrales Kommunikationsforum.

(2) Der Film »Drei Bauern unter einem Hut« (HR 1981) dokumentiert die existenzielle Bedrohung kleinerer und mittlerer Bauern und deren Versuche, sich gegen diese Situation zur Wehr zu setzen.